Windenstart 2007

Windenstart in Neuhardenberg 2007

An der langen „Leine“

Segelkunstflug nach Start an der Winde



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Buchstäblich an der langen „Leine“ mit Ausklinkhöhen von mehr als 1000 m wurden 33 Segelkunstflieger vom 28. April bis 1. Mai 2007 in Neuhardenberg geschleppt. 13 Piloten kamen vom einheimischen Luftsport-Landesverband Brandenburg, zwei aus dem Luftfahrtverband Berlin, vier aus Sachsen, sechs aus den alten Bundesländern sowie sechs aus den Niederlanden und zwei aus Belgien. Der Flieger-Club Strausberg, namentlich Rigo Rose und Torsten Dube, sowie Jan Golze aus Stölln hatten vor den Toren Berlins ein Trainingslager organisiert und sie durften mit dem ehemaligen DDR-Regierungs- und Militärflugplatz nicht nur ein ideales Gelände für ihr Vorhaben nutzen, sondern durften dabei auch die hervorragende Unterstützung durch die Beschäftigten des Sonderlandeplatzes genießen.

Vor mehr als 50 Jahren

Versuche, an der Winde auf große Höhen zu gelangen, gab es bereits in weit zurückliegender Vergangenheit. Das Zauberwort hieß damals Drachenschlepp, den übrigens heute noch die Drachenflieger praktizieren. Sie nennen ihn Stufenschlepp, und der war es auch an jenem 18. Oktober 1954, als in Schönhagen bei 12 m/s Wind die längste nur mögliche Schleppstrecke, immerhin 1500 m, ausgenutzt wurde. Geschleppt wurde damals mit einer Maybach-Winde und Stahlseil.
Fluglehrer Werner Runge startete zum ersten Versuch mit einem Baby IIb. Zunächst ging es auf 600 m Höhe, worauf der Windenfahrer den Gang herausnahm und mit Hilfe der Bremse ganz langsam das Seil freigab. Das Segelflugzeug wiederum hing mit entsprechendem Anstellwinkel an diesem Seil und zog es wieder heraus, wobei etwa 100 m Höhe verloren gingen. Danach legte der Windenfahrer den Gang ein und schleppte wieder an. Noch zweimal wurde diese Prozedur wiederholt, aber in 1000 m Höhe war Schluss damit und der Pilot des Babys klinkte das Seil aus.

Start und Schlepp heute
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So kompliziert wie vor mehr als 50 Jahren ging es in Neuhardenberg nicht zu. Die Wahl der Strausberger war auf diesen Flugplatz gefallen, weil ihr eigenes Fluggelände „nur“ Schleppstrecken von kaum mehr als 1200 m erlaubt. Neuhardenberg dagegen bringt es auf außergewöhnliche 2800 m Seilauslage und das bedeutet, dass die Segelkunstflugzeuge auf bisher ungeahnte Höhen von mehr als 1000 m geschleppt werden können. Bei sehr guten Bedingungen mit einem Wind, der direkt von vorn blies, erreichte ein Pilot auf ASK 21 sogar 1330 m Höhe! Aus dieser Ausklinkhöhe ging es direkt in die Kunstflugbox, in der begeistert geturnt und gerollt wurde.
In einem NOTAM hatten die Strausberger nicht nur auf die Kunstflugbox verwiesen, sondern insbesondere auf die Windenstarts. Aus gutem Grund, denn in Höhen um 1000 m oder mehr erwartet wohl keiner ein Windenschleppseil!
Am Start waren zwei Fox, zwei ASK 21, drei Pilatus B4 und eine SZD-59. In den Genuss des ersten Starts dieses historischen ersten Segelflugbetriebes, der in Neuhardenberg stattfand, kamen Babette Demgenski aus Kammermark und Jan Golze aus Stölln auf ASK 21 – das für die Annalen. Insgesamt wurden schließlich 148 Starts absolviert, die ohne Probleme verliefen.
Der Schlepp an der Elektro-Winde ESW-2B der Firma Ulbrich-Industrie-Elektronik mit LIROS-Kunststoffseil (siehe auch www.elektrostartwinde.de) verläuft sehr gleichmäßig und angenehm – das zeichnet eben eine Elektro-Winde aus. Der Pilot muss nach Erreichen der Sicherheitshöhe nur die vorgeschriebene Geschwindigkeit einhalten und der Windenfahrer gibt ihm die Seilkraft, die er benötigt – einfacher geht es nicht.
Gewöhnungsbedürftig ist sicher der weit größere Anstellwinkel als bei einer normalen Winde. Ganz wichtig jedoch ist das Vorhalten – der Wind passte nur in ganz seltenen Fällen und der Wald war nicht sehr weit entfernt.
Eine Herausforderung für die Windenfahrer ebenso wie für die Piloten stellte allein der Fox dar. Dieser schwere Kunstflug-Doppelsitzer mit seiner hohen Flächenbelastung benötigt eine hohe Geschwindigkeit, aber noch mehr von Nachteil erwies sich der Einbauwinkel seiner Windenschleppkupplung. Das Seil fällt ständig vorzeitig heraus und der Hersteller wird sich hier wohl noch etwas einfallen lassen müssen.

Die Winde
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Erste praktische Versuche mit überlanger Seilauslage hatten Jürgen Volk, der Konstrukteur, und Markus Müller, zuständig für den Verkauf der Winde, bereits in den letzten beiden Jahren an je zwei Tagen in Frankreich unternommen. Im Unterschied zu damals erwartete sie jedoch in Neuhardenberg ein Flugbetrieb über mehrere Tage mit hoher Startfrequenz und zum Teil nicht idealem Wind, der leider meist von der Seite blies.
Jürgen und Markus waren gespannt darauf zu erfahren, ob die Winde an ihre Grenzen stoßen würde. Aber zunächst gab es einige technische Fragen zu lösen. So hatte der Flugplatzbetreiber ursprünglich zwei 20-kW-Anschlüsse nebst Kabel für die beiden Startstellen zugesichert, aber dann mussten wir uns mit einem ELBE Diesel Stromerzeuger HA-30C behelfen, der 30 kVA lieferte, mit ca. 63 dB(A) in 7 m Entfernung superschallgedämpft war und 7,7 l/h Kraftstoff bei Vollast verbrauchte.
Vom Fox war bereits die Rede: Auch sein Energiebedarf ist deutlich höher als der anderer Segelflugzeuge. Man sprach davon, dass ein Fox-Start immerhin drei Starts mit der Pilatus B4 entspricht. Mehrere Fox-Starts hintereinander führen zu Kapazitätsproblemen und damit zu Wartezeiten bis zu 15 Minuten, weil die Batterien wieder geladen werden müssen. In diesem Fall wird man wohl künftig anstelle der 88-A-Batterien auf 100-A-Batterien zurückgreifen. Dennoch waren Jürgen und Markus sehr zufrieden mit den Leistungen ihrer Winde unter den extremen Bedingungen in Neuhardenberg – und das zu Recht! Nicht minder zufrieden waren auch die Piloten.

Die Zukunft

Mit Fug und Recht darf man sagen, dass die Elektro-Winde ihr Debüt mit der langen „Leine“ erfolgreich gemeistert hat. Darüber hinaus ist sie auch kostenmäßig eine sehr gute Alternative zum teuren Flugzeugschlepp. In Neuhardenberg zahlten die Piloten 15 € Startgebühr, die auch die organisatorischen Kosten enthielt. Insgesamt kann man also selbst an diesem Preis noch etwas machen.
Dieser Kostenvorteil lässt hoffen, dass sich künftig noch weit mehr Piloten als bisher dem Kunstflug, der hohen Schule der Fliegerei, zuwenden werden. Wir gewinnen damit nicht nur mehr Flugsicherheit, sondern auch eine für uns neue und überaus interessante sportliche Disziplin.

Bild und Text: Frank Lemke